Tschernobyl – beklemmend und beeindruckend

Wenn der Mensch zu viel weiß, wird das lebensgefährlich. Das haben nicht erst die Kernphysiker erkannt, das wusste schon die Mafia.
Norman Mailer (*1923), amerik. Schriftsteller

Tschernobyl, Ukraine, für viele aus den Medien und den Geschichtsbüchern ein Begriff. Unsere Generation der Millennials hat die dramatischen Ereignisse damals nicht miterlebt und doch ist der Name jedem ein Begriff. Er steht für die größte Katastrophe im Zusammenhang mit der zivilen Nutzung von Kernenergie. Im Sowjetischen Atomkraftwerk an der Grenze zu Weißrussland kam es am 26. April 1986 zum Super-GAU. Als Block 4 explodierte verbreitete sich radioaktiver Staub in ganz Europa. Die Folge waren und sind noch heute schwere Krankheiten.

Schon vor einigen Jahren haben wir Berichte über Touren durch das Sperrgebiet und insbesondere die verlassene Stadt Prypjat gesehen, und eine Mission bei Call of Duty hat die Faszination noch verstärkt, sodass wir diesen einmaligen Ort auf der Erde gerne besuchen wollten.

Ein wenig komisch kommen wir uns schon vor bei der Buchung der Tour – sind wir jetzt sensationsgeile Katastrophentouristen? Eher nicht, aber dazu später mehr. Während sich Anfang des Jahrtausends, als das Gebiet das erste Mal für Touristen geöffnet wurde, nur ein paar hundert Menschen in die Region verirrten, gibt es heute zig Tourenanbieter und es hat sich ein richtiger Wirtschaftszweig um den Tourismus gebildet. Laut Aussage unseres Tourguides besuchen jährlich über 25.000 Touristen die Sperrzone. Nun aber zu unserer eindrücklichen Tour.

Ist der Besuch nicht gefährlich?

Eigentlich jeder, mit dem wir über die Tour gesprochen haben, stellte die Frage „Ist der Aufenthalt nicht total gefährlich wegen der Strahlung?“. Dachten wir auch – ist jedoch nicht so. Denn jeder Transatlantikflug hat eine wesentlich höhere Strahlenbelastung als der eintägige Aufenthalt in der Sperrzone (Äquivalenzdosis 0,003 mSv vs. 0,1 mSv). Das gilt natürlich nur, wenn man sich auf den dekontaminierten Wegen und Straßen aufhält und nicht gerade die Bäume im Wald umarmt.

Fahrt in die Sperrzone

Im Rahmen unseres Städtetrips in Kiew haben wir die Exkursion nach Tschernobyl und Prypjat in einer Tagestour unternommen. Gebucht über Solo East Travel – einem wirklich zu empfehlenden Anbieter, der sehr informativ und auch respektvoll die Tour gestaltet. Mit mehr oder weniger modernen Bussen geht es früh morgens los von Kiew Richtung weißrussische Grenze. Die Fahrt dauert ca. 3 Stunden und es werden informative Filme mit Hintergrundinformationen über das Unglück gezeigt. Der Zutritt zur Sperrzone wird streng kontrolliert und somit muss jeder Pass am Checkpoint überprüft werden. Fotos strengstens verboten.

Tschernobyl

Einst lebten in der Region tausende Menschen, in Dörfern und Städten. Kaum vorstellbar, heute ist alles was dort von Menschenhand erschaffen wurde dem Verfall geweiht und ganz der Natur überlassen.

Auf der Fahrt zum Reaktor kommen wir zunächst an einem verlassenen Kindergarten vorbei – gespenstisch.

Auf der Tour sichten wir einige Denkmäler entlang der Straße.

Tausende sogenannte „Liquidatoren“ haben 1986 in lebensgefährlicher Handarbeit einen Betonsarkophag um die Reste des Meilers gezogen, um den Austritt von Radioaktivität zu stoppen. Sie schaufelten mit der Hand das radioaktive Graphit vom Dach und konnten sich nur 40 Sekunden am Stück dort aufhalten.

Wir nähern uns dem Unglücksort und sehen schon von Weitem den Reaktor, bzw. seinen neuen Stahlsarkophag.

Die Überreste der damals sich im Bau befundenen weiteren Reaktorblöcke sind außerdem zu erkennen. Verlassen stehen die Kräne seit 30 Jahren still. Geplant waren übrigens insgesamt elf nebeneinander liegende Reaktoren.

Der neue Stahlsarkophag, der mehr als 100 Meter hoch ist, umhüllt die Ruine komplett und soll 100 Jahre halten. Bis auf 200 Meter kommt man an den Reaktor heran und steht beeindruckt und sprachlos vor dem Denkmal. Unvorstellbar was sich hier vor 30 Jahren abgespielt hat….

 

Prypjat – die verlorene Stadt

Prypjat ist ein vollkommen unwirklicher Ort. Eine fensterscheibenlose Stadt mit bröckelnden Fassaden, durch die Wildtiere streunen. Einst lebten hier über 50.000 Menschen. Prypjat wurde als Musterstadt der Sowjetunion gebaut und hatte alles was man sich nur vorstellen kann, um die besten Ingenieure und Arbeiter des Landes anzulocken.

Heute erobert die Natur die Stadt zurück.

Der Freizeitpark sollte Anfang Mai 1986 eröffnen – bis auf ein paar Testfahrten kam er nie zum Einsatz.

Das Riesenrad steht verrostet und stumm zwischen Bäumen.

Das Stadion von einst ist kaum zu erkennen, Bäume wachsen auf dem Spielfeld, die Tribüne ist verfallen.

Doch am beeindruckendsten ist das Schwimmbad anzusehen. Das Gebäude betritt man durch den komplett verwilderten Eingangsbereich, geht durch die kaum erkennbaren Umkleiden und steht in der Schwimmhalle – riesige Fensterfronten, ohne Glas. Der Wind weht im Gebäude und der Sprungturm steht am Rand des leeren Schwimmbeckens.

Nach dem Besuch des Schwimmbades besuchen wir noch die ehemalige Schule von Prypjat – die Schulbänke sind noch ordentlich in den Klassenräumen angeordnet und teilweise stehen die Bücher in den Regalen.

Langsam gehen wir weiter durch die einsame Stadt, vorbei an einem Briefkasten, der kaum mehr erkennbar von einem Baum umwachsen wird, zurück zu unserem Sammelpunkt. Auf der Rückfahrt geht es noch an einer der größten Radarstationen der damaligen Sowjetunion vorbei – der DUGA 1. Sie sollte Raketenstarts der USA frühzeitig erkennen können. Eine riesige, streng geheime Anlage, die zur damaligen Zeit auf den Landkarten als „Sommercamp für Kinder“ eingezeichnet war. Einen interessanten Artikel dazu findest du hier.

Tschernobyl – das war einer unserer bisher eindrucksvollsten Ausflüge. Andächtig und beeindruckt kehren wir zurück…

Während wir vor dem Reaktor standen und durch die Straßen der verlassenen Stadt Prypjat gelaufen sind wurde uns klar, worin sich die Reise nach Tschernobyl vom „Katastrophentourismus“ unterscheidet. Nirgendwo sonst kann man so viel über die Fehlbarkeit des Menschen lernen wie hier.

 

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